Pragmatica e Interculturalità
Pragmatik und Interkulturalität Grundlegende Voraussetzungen für eine interkulturelle Haltung
Eine interkulturelle Haltung setzt eine eigene, sich selbst bewusste, persönliche Identität voraus. Das persönliche Selbst mit seinen Kategorien der Einzigartigkeit und Unwiederholbarkeit konstruiert die Dimensionen von Identität und Differenz; „Schuldkomplexe“ (so zu sein, wie ich bin) und die verbreiteten „Typisierungen“ aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur sind zu vermeiden. Die Begegnungen mit anderen Kulturen sollten dazu dienen, die je eigene Identität durch diese Beziehungen wachsen zu lassen.
Die interkulturelle Begegnung vollzieht den Schritt vom Selbst zum Anderen, indem sie erkennt, dass der Andere nicht nur ein Gesicht „hat“, sondern ein Gesicht „ist“: „das Gesicht ist die Weise, mit der sich der Andere mir vorstellt, die aber zugleich die Idee des Anderen in mir übersteigt.“1 Anzuerkennen, dass der Andere ein Gesicht „ist“, bedeutet, dass er mir nicht einfach vorgegeben ist, dass er weder vorhersehbar noch beherrschbar ist, sondern dass er unabhängig von mir besteht.
Die interkulturelle Begegnung sucht daher den Weg vom Vorurteil zum Vorverständnis. Das Vorurteil ist eine selbstverschließende Abgeschlossenheit, die den Anderen ausschließt und auf das reduziert, was ich bereits weiß und akzeptieren kann. Das Vorverständnis meint hingegen eine lebendige Beziehung: das Herausgehen aus sich, ohne jedoch die eigene Identität aufzugeben oder zu verlieren; das Vorverständnis vollzieht den Schritt von einem sich selbst verschließenden, vereinnahmenden Selbst hin zu einem offenen, integrierenden, einladenden Selbst. Die interkulturelle Beziehung möchte daher zur Gegenseitigkeit erziehen.
Interkulturalität und Auslegung des Bibeltextes
Eine monokulturelle Einstellung sieht den Bibeltext monolithisch, so als seien bereits dessen kulturelle und literarische Grenzen ein- für allemal definiert, anstatt den Text – sei es des AT oder des NT – in seiner Verschiedenheit als Zeugnis der Interkulturalität und der Symbiose zwischen zwei bzw. drei verschiedenen Kulturen zu verstehen. Die interkulturelle Einstellung geht vom vorgegebenen Text aus, der aber auch für die heutigen Leser stets aktuell ist; so dass sich eine fortlaufende dialektische Beziehung zwischen zwei lebendigen, interagierenden Gesprächspartnern entwickelt.
Ein monokultureller Leser lässt die Kommunikation nur in einer Richtung zu – nach dem conduit model – vom Text zum Leser oder vom Leser zum Text. Die interkulturelle Kommunikation hingegen zielt auf das dialogische Modell: Kommunikation ist nicht etwas, was einer für oder mit einem anderen macht, sondern etwas, das gemeinsam mit dem anderen geschieht.2
Eine monokulturelle Einstellung steht in einem Spannungsverhältnis zu den unterschiedlichen Methoden der Bibellektüre, denn sie geht von sehr vereinfachten Axiomen (z.B. von der wortwörtlichen Interpretation aufgrund der Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift) und von ein- für allemal festgelegten methodischen Schemata aus (Fundamentalismus).3 Im Gegensatz dazu möchte die interkulturelle Haltung zu komplexerem Denken erziehen, zur geistigen Beweglichkeit, zu einem kritischen Umgang mit Methoden, die gewachsen sind und der Veränderung unterliegen.
Pragmatik und Interkulturalität
Im Zusammenhang mit der literarischen Figur des Modell-Lesers wurde darauf hingewiesen, dass ihn ihm die Intention eines Textes ihre optimale Verwirklichung erreicht4 und mit U. Eco wurde ergänzt, dass „der Text ein träger (oder ökonomischer) Mechanismus ist (…), der von dem – vom Empfänger aufgebrachten – Mehrwert an Sinn lebt (…).“5 Ein Text enthält vielfältige Potenzialitäten z.B. hinsichtlich seiner Interpretation oder Wirkabsicht; der Modell-Leser ist die literarische Kategorie, die diese verschiedenen Möglichkeiten bündelt. Die Funktion des Modell-Lesers besteht darin, die im Text enthaltene „Wahrheit“ zu verkörpern und den realen Leser herauszufordern, diese Wahrheit in seine konkrete Wirklichkeit bzw. Existenzweise zu übertragen. Die empirischen Leser des einundzwanzigsten Jahrhunderts können mit der „Wahrheit“ des Bibeltextes in Beziehung treten, indem sie mit der Figur des Modell-Lesers kommunizieren, die ihnen diese Wahrheit verdeutlicht. Vor dem Modell-Leser, der in sich die Qualitäten des idealen Lesers vereinigt, sind die empirischen Leser aufgefordert, eine wahrhaftige und beständige Beziehung zum Text aufzubauen, indem sie die vom Text hervorgerufenen Wirkungen auch bei sich zulassen, vor allem aber, indem sie sich mit dem Wertesystem des Bibeltextes konfrontieren lassen und sich kritisch damit auseinandersetzen. Die heutigen Leser aus verschiedenen Kulturen, sozialen Schichten und mit unterschiedlichen Einstellungen sind zu einer dauerhaften Auseinandersetzung mit dem Text bzw. mit dem Modell-Leser aufgefordert: indem sie ihre Erwartungen an den vom Modell-Leser verdeutlichten Modellen messen bzw. von ihm hinterfragen lassen und indem sie die Wege des Modell-Lesers nicht einfach unhinterfragt kopieren, sondern sie reflektieren, re-interpretieren und aktualisieren. Die Wahrheit, die der Modell-Leser repräsentiert, erschöpft sich also nicht in einer einzigen Haltung, sondern enthält verschiedene Modalitäten, die jedoch wiederum alle in der Wahrheit des Modell-Lesers grundgelegt sind. Auf diese Weise erhält die biblische Exegese ihre hermeneutische Dimension, die zur Lebensquelle für das Handeln der Gläubigen wird.
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1 E. Lévinas, Etica e Infinito, Roma 1984, 49.
2 Vgl. den Menüpunkt „Sprache und Kommunikation“.
3 Vgl. Päpstliche Bibelkommission, Die Interpretation der Bibel in der Kirche (SBS 161) Stuttgart 1995, 122-125.
4 Vgl. den Menüpunkt „Pragmatik und Textanalyse“.
5 U. Eco, Lector in fabula, München 31998, 63.